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Interviews und Reportagen
THÜRINGER ALLGEMEINE/JUNI 2012
Der Computer mag keine Joints
Von Peter Lauterbach
Ein Bericht über die Proben zu „Hair“ in Meiningen
Nerven behalten – das ist in den letzten Tagen vor der Premiere gar nicht so einfach. Vor allem, wenn so viele Darsteller wie beim Musical „Hair“ zusammenwirken. Regisseur Peter Rein bleibt dennoch gelassen, äußerlich jedenfalls.
Herrgott nochmal! Denkt er vielleicht. Sagt er aber nicht. Der Peter Rein. „Emanzipation“ steht in fetten Lettern auf seinem T-Shirt. Mitten auf dem Bauch geschrieben. Doch der Peter, nennen wir ihn einfach so, ist gerade ziemlich gefangen im System. Das einzig emanzipierte Wesen an diesem Dienstagabend, 19 Uhr, Großes Haus des Meininger Theaters, ist der Computer. Dem ist die Probe, eine der letzten vor der Premiere, nämlich wurscht. Er findet seine eigene IP-Adresse nicht. Vielleicht, weil er noch neu ist hier im Haus. Man braucht ja auch ein bisschen, um sich an die spezielle Meininger Art zu gewöhnen. Seit dem Umbau geht es hier ziemlich vollelektronisch zu: Seilzüge, Scheinwerfer, einfach alles steuert der Prozessor. Wenn er denn steuert, wie gesagt. Noch ist er auf Selbstfindungstrip. Und zwar – um im Bild zu bleiben – ganz ohne Joint.
Das ist blöd. Denn sie wollen „Hair“, das berühmte Hippie-Musical vom Broadway, „probieren“ – wie es in der Theaterfachsprache so schön heißt. Da rauchen die Tüten nur so. Noch drei Tage bis zur Premiere. Noch einiges zu richten am Stück. Die Zeit, die sowieso nie reicht, scheint diesmal besonders knapp. Eine Schwangerschaft und eine Gehirnerschütterung – beides hat sich außerhalb des Theaterbetriebs zugetragen – machen die Sache nicht leichter. Sheila, eine der Hauptrollen, muss kurzfristig umbesetzt werden. Und nun die Malaise mit der Technik. Dirk-Olaf Hanke, dem Schauspieldirektor, stehen Schweißperlen auf der Stirn. Nicht mal der Anflug eines Lächelns lässt sich auf seinem Gesicht lesen. Das sagt etwas über die Lage aus. Und die ist also ernst. Peter Rein, der Regisseur, schreitet bedächtig durch die Sitzreihen zu seinem Regiepult. Seine Hände spielen mit einem Mikrofon. Das sieht ein bisschen so aus, als wollte er gleich einen Schlagerauftritt hinlegen, ist aber offenbar seine Methode, die Spannung abzuleiten. Morgen will die Softwarefirma ein Update aufspielen. Ein Computer ist ja auch kein Achtundsechziger. Hat kein Feeling für die Blumenkinder-Generation. Ein Nachgeborener, auch wenn er sich heute so schön nostalgisch mit Äpfelchen schmückt.
Geduld ist alles
„Geduld!“, ruft der Peter den jungen Leuten da vorne auf der Bühne zu. „Habt Geduld!“ Sie bleiben stehen, hocken und liegen, als hätte sie jemand mit den Fingern einfach ausgeschnipst. Im Zeitlupentempo senkt sich ein weißer, halb durchsichtiger Vorhang, trennt Vorder- und Hinterbühne. „Gib uns auch den Schalldecker“, ruft Rein in den Theatersaal. Irgendjemand von der Technik ist offenbar gemeint. Ein weiterer, diesmal pechschwarzer Vorhang fährt herab. Sie machen das per Hand, irgendwie. Und dann sind sie geteilt, die Tänzer, Schauspieler, Musicalsänger und Statisten, die Langhaarigen, die Ausgeflippten, die Vergnügungssüchtigen. Hinten poltern – schallgedämpft – die Bühnenarbeiter. Vorne wird weitergespielt.
Im Oktober 1967 hatte das Musical im New Yorker Biltmore Theatre Premiere. Da war Amerika im Krieg. Da wurden Einberufungsbefehle verschickt. Da entstanden die Helden-Legenden. Und die Bilder, von denen eins ein vietnamesisches Mädchen zeigt, das schreiend und nackt über eine Brücke rennt. Da begehrte eine ganze Generation auf gegen die bürgerlichen Spielregeln des Gesellschaft – nicht nur in Amerika. Ihre Markenzeichen: Lange Haare, bunte Klamotten, freizügig ausgelebte Sexualität, die Lust am Rauschgift und natürlich die Musik. Diesen bunten Mix zaubert Peter Rein auch auf die Meininger Bühne. Wenn die Kapelle „Let the sun shine“ spielt, ganz im Hintergrund, und die Jungs und Mädels scheinbar planlos, in Wirklichkeit aber genau choreografiert über die Bühne tänzeln, dann entspannt sich dann doch das ein oder andere Gesicht im „Publikum“, das an diesem Abend nur aus Theaterleuten besteht: Der Schauspieldirektor kann auch lächeln. Christian Rinke, der Bühnenbildner, schaut nicht mehr so verbissen. Dem Intendanten Ansgar Haag, der sich eine Reihe weiter hinten niedergelassen hat, gefällt Flowerpower mit dem schönen Geschlecht sowieso. Die Sonne strahlt im Meininger Theater. Jedenfalls für einen Moment.
Dunkle Wolken
Momente vorher hingen dunkle Wolken von der Bühnendecke. Mit einem barschen „So, Leute“, hatte Rein nach ein paar Minuten gleich die erste Szene abgebrochen. Gerade waren die Jugendlichen, einer nach dem anderen, in einen wunderschön im Stil der sechziger Jahre nachgebauten Universitäts-Hörsaal geschlendert, hatten begonnen, mit dem Herrn Professor über die Achtundsechziger zu diskutieren, da platzte Rein der Kragen. Er zappelte erst eine Weile neben dem Regiepult. Ließ seine Arme über den Vordersitz baumeln. Schaute schräg nach hinten zum Schauspieldirektor. Zappelte wieder. Griff dann zum Mikrofon. Die jungen Leute sagten ihren Text zu schnodderig, wie er fand, nuschelten gar, auch der Herr Professor war alles andere als in Form. Dozierte, statt zu spielen. „So Leute“, sagte also Peter Rein und stürmte auf die Bühne. Nun würden wohl gleich Blitze zucken. Aber der Peter ist Profi. Er weiß, dass leise und mit Bedacht vorgetragene Regieanweisungen viel wirksamer sind. Er redete nach hinten, in den Bühnenraum hinein. Im Zuschauerraum kam kein einziges Wort an. Er will niemanden bloß stellen. „Entschuldigt, wir müssen es noch mal tun“, sagte der Peter dann, als er wieder auf seinem Platz saß. „Nein, ist schon in Ordnung“, meldete sich der Intendant. So ist das nunmal, auf einer Hauptprobe.
Doch „durch“ läuft das Stück auch später nicht. Immer wieder unterbricht der Regisseur. Mal fehlt die „Atmo“, die atmosphärische Untermalung einer Szene mit Musik und Geräuschen, die per Computer eingespielt werden soll. Mal ist die Band im Hintergrund deutlich zu laut. So laut, dass die Schauspieler vorne brüllen müssten, um verstanden zu werden. Mal kommen die Musiker zu schnell auf die Bühne. Mal schnippt einer noch am Feuerzeug, obwohl die „Tüte“ längst brennt. Mal passt dem Regisseur nicht, dass der Richter, der die bei einer Geburtstagsparty von der Polizei aufgegriffenen Jugendlichen verknacken soll, zwei Worte nicht richtig betont. Der Peter arbeitet, biegt, formt und feilt. Und auch auf der Bühne arbeiten, biegen und formen sie. Die sich eigentlich gar nicht so gut kennen. Und Irina Ries, die Neue im Eisenacher Schauspiel, hat es besonders schwer. Nur ein paar Proben blieben ihr, seit sie vor ein paar Tagen Sheilas Rolle übernommen hat. Dafür gehört ihr der schönste Augenblick dieses Probenabends: Hoch zu weißem Ross galoppiert sie über die Bühne.
Es ist eine Erlösung, als Peter eine Pause einlegt. „20 Minuten“, sagt er. Bis zur Premiere werden sie es drauf haben. Bis zur Premiere haben sie es immer drauf. Vielleicht gibt es dann langen Applaus. Nach einer solchen Probe weiß man: Den Künstlern bedeutet er mehr, als artiges Händeklatschen. Viel mehr.
Premiere heute um 19.30 Uhr. Das Musical ist bis Oktober ausverkauft. Restkarten unter Tel. 03693/451222.
DIE WELT / NOVEMBER 2001
Frischer Wind in der Ingolstädter „Betonburg“
Von Detlev Baur
Theater-Intendant Peter Rein über seine Arbeit
Das Intendantenzimmer ist frisch geweißt und funktional eingerichtet. Neben dem Schreibtisch samt Notebook hat ein großer Glastisch mit einfachen Stühlen das Sofa des Vorgängers verdrängt. Nach sechsjähriger Intendanz des erfahrenen Wolfram Krempel hat das Ingolstädter Stadttheater seit Beginn dieser Spielzeit einen neuen Intendanten: Den dynamischen, noch nicht einmal 40 Jahre alten Peter Rein. Er stammt aus Donauwörth, nur einige Kilometer von seiner neuen Wirkungsstätte entfernt.
Die Betonburg aus den 60-er Jahren hat Rein als Schüler zum ersten Mal besucht; ein hermetisches, heftig umstrittenes Bauwerk, das – wie Rein aber findet – hervorragend zur älteren Architektur der Stadt, etwa dem benachbarten Schloss, passt. Reins Theater-Werdegang begann auch in einer Donaustadt – in Wien: Dort, am Max-Reinhardt-Seminar, machte er seine Ausbildung zum Regisseur, um anschließend als freier Regisseur zu arbeiten. Unter anderem in Kassel, Braunschweig, Konstanz, Oldenburg, Leipzig und Karlsruhe. 1996 wurde er Oberspielleiter am Erfurter Theater.
Geplant habe er diese Karriere so nicht, sagt er, aber als Oberspielleiter wie Intendant hat der nun in die Heimat Zurückgekehrte die kontinuierliche Arbeit mit einem Ensemble schätzen gelernt. Deshalb betont Rein auch, wie sehr er an Teamarbeit interessiert sei und wie wenig er über die Köpfe der anderen hinweg entscheiden wolle.
Am kleinen Ingolstädter Theater mit seiner erst 35-jährigen Tradition ist der neue Intendant von der effizienten und engagierten Arbeit aller Abteilungen begeistert. Mit einer sehr knappen Personaldecke würden bemerkenswerte Ergebnisse erzielt. Rein hat in den wenigen Wochen seiner Arbeit „fast den Charme und Zusammenhalt einer Zirkusfamilie“ am Haus ausgemacht.
Mit der Ansetzung des Stückes „Feuergesicht“, in dem ein Junge aus gutsituierter Familie zum Attentäter wird, ist ihm ein erster Erfolg geglückt. Das Stück, das er schon vor anderthalb Jahren vorgeschlagen hatte, passt ungeahnt gut zur seit dem 11. September veränderten Weltlage. Auch wenn das Theater in aktuellen Reaktionen mit anderen Medien nicht mithalten könne: „Theater kann über Hintergründe nachdenken. Es reflektiert die Welt und besonders die Beziehungen zwischen den Menschen“, so Rein.
Auch in die Proben zu seiner ersten eigenen Ingolstädter-Intendanten-Inszenierung von Shakespeares „Was ihr wollt“ hätten die schrecklichen Ereignisse Eingang gefunden – „weil man den Text ganz anders hört“. Rein ist sich sicher, dass die Inszenierung – auch ohne oberflächliche Aktualisierungen – eine intensive Antwort auf die derzeit stark verunsicherte Welt ist.
Eine Neuerung am Theater der Audi-Stadt wird unter seiner Ägide die verstärkte Arbeit im Bereich Kinder- und Jugendtheater sein. Die Spielzeit begann programmatisch mit einem Kinderstück. Insgesamt bietet der Spielplan alles – von Sophokles über Shakespeare bis Yasmina Reza. Daneben sind Musik- und Tanztheatergastspiele zu sehen. Vielleicht der Höhepunkt der Spielzeit im November: Die Uraufführung von Kerstin Spechts biografisch geprägtem Stück über die bekannteste Tochter der Stadt: Marieluise Fleißer, die bedeutende Ingolstädter Dramatikerin.